Fußball im ewigen Eis
Wie der dänische Fußballtrainer Morten Rutkjaer den Fußball auf Grönland voranbringen will und welche Schwierigkeiten ihm im Wege stehen
Wenn wir Erik dem Roten Glauben schenken würden, ließe sich auf Grönland problemlos Fußball spielen. Aber damit noch nicht genug, vielmehr wäre das „grüne Land" geradezu prädestiniert für einen saftig grünen Rasen. Natürlich kauft dem alten Schwindler heutzutage niemand mehr die Illusion einer riesigen fruchtbaren Insel zwischen Nordatlantik und Nordpolarmeer ab. Doch im späten 10. Jahrhundert sah die Realität, für viele von Armut geplagte Skandinavier, noch gänzlich anders aus. Die Vorstellung von eigenem Grund und Boden, noch dazu in mildem Klima, überzeugte einige Wikinger davon, die lange und riskante Bootsfahrt ins Ungewisse auf sich zu nehmen.
Mehr als tausend Jahre später ist fast alles über die größte Insel der Erde bekannt. Was bewegt nun einen erfahrenen Fußballtrainer dazu, ebenso wie vor langer Zeit unsere tapferen Siedler, die Reise ins ewige Eis anzutreten?
Alles begann vor ziemlich genau 4 Jahren. Morten Rutkjaer, ehemaliger Fußballspieler in Dänemarks höchster Spielklasse und heute Fußballtrainer, wurde vom grönländischen Fußballverband eingeladen Vorträge zu halten und Trainingseinheiten zu leiten. Offensichtlich hat er dabei einen guten Eindruck hinterlassen, denn ein paar Wochen später wurde ihm telefonisch der Nationaltrainer-Posten angeboten. Solch eine Entscheidung muss gut durchdacht sein und braucht Zeit. Deshalb erfolgte der Rückruf erst siebeneinhalb Minuten später. Morten Rutkjaer hatte sich bei seinem Besuch umgehend in Land und Leute verliebt. Zusätzlich gefiel ihm die Aussicht auf ein Abenteuer. Ein solches Abenteuer ist der Job zweifelsohne, aber dazu später mehr.
Der grönländische Fußballverband KAK verfolgt den Plan, mit der Nationalmannschaft, nach einigen Jahren der Stagnation, wieder ambitioniertere Ziele ins Auge zu fassen. Teil des Plans sind massive Investitionen. So wurden für die knapp 6000 aktiven Fußballspieler, aus allen Altersgruppen, Kunstrasenplätze im Wert von umgerechnet 33 Mio. Euro gebaut. Das sind, für eine Nation mit gerade mal 56.000 Einwohnern, nahezu unerhörte Ausgaben. Etwas relativierend und um die Höhe der Summe zu erklären, muss man wissen, dass Kunstrasenplätze auf Grönland im Durchschnitt etwa 4-mal so teuer sind wie bei uns, weil oftmals erst die Klippen gesprengt werden müssen. Finanzielle Unterstützung erhält Grönland dabei aus Dänemark. Als politisch selbstverwalteter Bestandteil des dänischen Königreichs, belaufen sich die jährlichen Subventionen auf ungefähr 450 Mio. Euro.
Kunstrasen des FC Malamuk Uummannaq
Morten Rutkjaer träumt davon mit Grönland Fußballgeschichte zu schreiben. Dafür muss es endlich gelingen Mitglied des Weltfußballverbandes FIFA zu werden. Grönland ist ein Sonderfall, weil zwei Kontinental-Konföderationen in Frage kommen. Zum einen bietet sich, durch die enge Beziehung zu Dänemark und demzufolge auch der Europäischen Union, eine Mitgliedschaft in der UEFA an. Zum anderen würde, aufgrund der geographischen Lage, eine Mitgliedschaft in der CONCACAF ebenso Sinn ergeben. Mittlerweile hat Grönland einen Mitgliedsantrag bei der CONCACAF eingereicht. Doch warum wurde Grönland bisher nicht von der FIFA als Mitglied anerkannt? Das hängt mit den hohen Standards und strengen Regularien zusammen, die von der FIFA vorgeschrieben werden. Dazu zählt unter anderem ein nationales Stadion mit einer Zuschauerkapazität von mindestens 40.000 Plätzen. Aber haben wirklich alle FIFA-Mitglieder so große Stadien? Nein, natürlich nicht! Die FIFA-Anforderungen sind in den letzten 20 Jahren zunehmend unrealistisch geworden und genau darin liegt das Problem Grönlands. Während andere kleine Nationen (auf die Einwohnerzahl bezogen), wie z.B. die Färöer-Inseln, vor rund 30 Jahren einen Mitgliedsantrag stellten, ist Grönland erst vor kurzem aktiv geworden. Das wirft folgende Frage auf: Hat die FIFA ein Interesse daran, möglichst keine weiteren Mitglieder aufzunehmen? Im Falle Grönlands würde einiges dafür sprechen. Wenn es um TV-Gelder und Einschaltquoten geht, sind 56.000 Einwohner nicht attraktiv genug. Des Weiteren sind andere Nationen bestimmt nicht an zukünftigen Auswärtsspielen in Nuuk interessiert und genau darin besteht die letzte Absicherung der FIFA. Selbst wenn alle Anforderungen erfüllt wären, kommt es immer noch auf das Votum der Mitgliedsländer an. So wie es aussieht muss sich Morten Rutkjaer also noch gedulden, bis er beim ersten offiziellen Punktspiel Grönlands an der Seitenlinie stehen darf.
Vielleicht ist das auch gut so, denn in der Zwischenzeit hat der dänische Coach noch viel Arbeit vor sich. Er interpretiert die Arbeit als Nationaltrainer anders als die meisten seiner Kollegen. So fühlt er sich nicht nur für seinen 42 Spieler umfassenden, erweiterten Kader, verantwortlich, sondern für die gesamte Entwicklung des grönländischen Fußballs. Sein Ziel besteht darin, das Trainingsniveau an europäische Standards heranzuführen. Dafür müssen die Trainer besser ausgebildet werden. Um das zu gewährleisten bieter er online kostenlose Fortbildungsseminare an. Außerdem hat er direkt zu Beginn seiner Amtszeit ein Internetprogramm mit Trainingsübungen und Leistungsdatenerfassung eingeführt, nachdem er schockiert feststellen musste, dass die Mehrheit der Grönländer Konditions- und Taktiktraining für überbewertet halten.
Für die Nationalmannschaft wollte Rutkjaer, so wie üblich, zunächst die besten Spieler ausfindig machen. In anderen Ländern stellt diese Aufgabe kein Problem dar. Auf Grönland wird die nationale Liga jedoch nicht im TV übertragen, so dass kein Videomaterial vorliegt. So bleibt dem Nationaltrainer nichts anderes übrig, als jeden noch so kleinen Ort, an dem Fußball gespielt wird, persönlich zu erkunden. Das gesamte grönländische Inland ist von einem Eisschild bedeckt und unbewohnt, wodurch 4/5 der Gesamtfläche wegfallen. Doch auch die eisfreien Küstenbereiche, die rund 410.000 km² ausmachen und damit etwas größer als Deutschland sind, lassen sich nicht leicht erreichen. Viele Dörfer haben keine Landebahn und sind deshalb ausschließlich mit dem Schiff oder Helikopter zu erschließen. Trotzdem ist für Morten Rutkjaer kein Weg zu lang-oder abenteurlich auf der Suche nach talentierten Spielern.
Wie bereits erwähnt, ist Grönland ein politisch selbstverwalteter Bestandteil des dänischen Königreichs. Der dänische Einfluss wird mit einem Blick auf den aktuellen Kader der Nationalmannschaft deutlich. So sind sechs Spieler in Dänemark für unterklassige Vereine aktiv. Ein Spieler steht auf den Färöer-Inseln unter Vertrag und der Rest spielt in der Heimat. Daran möchte Morten Rutkjaer etwas verändern. Sein Plan sieht vor, so viele Spieler, wie möglich, in das europäische Ausland zu schicken. Zum einen würden die Spieler auf einem höheren Niveau gefordert werden und könnten sich so weiterentwickeln, zum anderen hätten sie somit die Möglichkeit das ganze Jahr über trainieren zu können. Das wäre ein großer Vorteil, weil die Fußball-Außensaison auf Grönland nur von April bis September stattfindet. Es gibt bisher keine richtige Liga, hauptsächlich weil die Distanzen zu groß sind. Aber dafür wird jedes Jahr die Grönlandmeisterschaft ausgetragen. Die Mannschaften müssen sich zunächst gegen lokale Rivalen behaupten und haben so die Möglichkeit sich für die Meisterschaft zu qualifizieren. Die acht besten Teams spielen jedes Jahr im August, über 6 Tage, die Meisterschaft aus. B-67 aus der Hauptstadt Nuuk ist mit 14 Titeln Rekordsieger. Aufgrund der kurzen Außensaison und der ganzjährigen Kälte ist Futsal eine sehr beliebte Alternative.
Morten Rutkjaer ist fleißig dabei grönländisch zu lernen, doch auch auf dänisch funktioniert die Kommunikation ganz gut. Etwa 2/3 der Spieler können dänisch sprechen und für den Rest übersetzt der Assistenztrainer. Rutkjaer war sich darüber im Klaren, dass er keinen gewöhnlichen Trainerjob übernehmen würde, doch erst im Laufe der Zeit ist ihm klar geworden, wie wichtig ein tiefgründiges Verständnis der grönländischen Kultur und der Menschen für seine Arbeit sein würde. Am meisten beeindruckt ihn der Zusammenhalt und die engen Verbindungen der Spieler zu ihren Familien. Diesen einzigartigen Zusammenhalt konnte er unter anderem bei den vielen Hausbesuchen, bei ehemaligen Nationalspielern, bestaunen. So hat er schon etliche Einladungen erhalten, bei denen die ganze Familie zu Besuch kam, alle Nationalgerichte aufgetischt wurden und voller Stolz über die guten alten Zeiten auf dem Fußballplatz berichtet wurde. Die kulturellen Unterschiede führen natürlich auch zu Missverständnissen. Das musste der dänische Coach gleich zu Beginn seiner Amtszeit einsehen. Voller Enthusiasmus lud Rutkjaer seine Spieler zu einem Trainingslager ein, um verwundert feststellen zu müssen, dass lediglich eine Handvoll von ihnen erschienen ist. Sie erklärten ihm dann, dass momentan Jagdsaison sei und die Rentierjagd für Grönländer, aufgrund der hohen Fleischpreise, so gut wie unverzichtbar sei. Denn somit können sie den Kühlschrank das ganze Jahr über mit Fleisch füllen.
Das Beispiel verdeutlicht, wie wichtig es ist die Kultur zu verstehen. Dazu gehören auch die negativen Seiten und Probleme der Grönländer. Nach einem Trainingsspiel gegen die afrikanische Akademie des FC Midtjylland hat ein Spieler in der Umkleide eine Rede gehalten. Er berichtete von seiner Großmutter, die immer an ihn geglaubt habe und ihn großgezogen hat, während seine Eltern, beide Alkoholiker, nicht dazu in der Lage waren. Der Tag des Länder- bzw. Trainingsspiels sei der beste seines Lebens gewesen und das hätte er ausschließlich seiner Oma zu verdanken. Nach der Rede hat das ganze Team angefangen zu weinen. Zum einen hatten seine Mitspieler Mitgefühl und zum anderen haben sie ähnliche Schicksale durchleben müssen. Leider stellt der Alkoholkonsum auf Grönland ein großes Problem dar.
Der Traum von Morten Rutkjaer, um abschließend nochmal auf den Fußball zu kommen, besteht darin, eine ähnliche Erfolgsgeschichte, wie die Färöer-Inseln hinzulegen. Mit einer nahezu identischen Einwohnerzahl und ebenfalls schwierigen Wetterbedingungen, haben die Färinger eine erstaunliche Entwicklung vollzogen. So haben die großen europäischen Nationen schon lange den nötigen Respekt, wenn Qualifikationsspiele in Torshavn anstehen. Doch wann es soweit ist, dass andere Nationen sich vor Länderspielen in Nuuk fürchten, genauso wie die Europäer die Wikinger fürchteten, steht leider noch in den Sternen.
Ole Paulsen
Quellen: https://podtail.com/de/podcast/bech-bag-bolden/
https://visitgreenland.com/de/artikel/fussball-in-groenland/
https://de.wikipedia.org/wiki/Gr%C3%B6nl%C3%A4ndische_Fu%C3%9Fballauswahl